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Wilhelm Meister Parzival Kater Murr Effi Briest Grass: Ein weites Feld Simplizissimus

 

Natürlich ist der Roman "welthaltig". Natürlich entfaltet sich im Roman Leben, Entwicklung...

Natürlich finden wir Probleme modelliert, die uns angehen, finden Zeit vergegenwärtigt, Gegenwart "gespiegelt" (oder wird ein Spiegel vorgehalten?).

Natürlich.

Hier soll versucht werden, neben den "Klassikern" (zu ihnen rechne ich sowohl Werke der mittelhochdeutschen Literatur als auch Thomas Mann) auch Gegenwart vorzustellen. (Zur Orientierung: Gegenwart findet m. E. gerade statt. Dürrenmatt gehört da nicht mehr dazu...)

Dass alles auch Zeit braucht (wenigstens Zeit, alles zu tippen ... und in eine nachvollziehbare Form zu bringen), soll Verzögerungen entschuldigen.

Wie auch immer: gehen wir's an.

Vorläufig werden die "Bildungs-/Entwicklungsromane" aufbereitet. Parallel wird der eine oder andere Roman der Gegenwart (Timm, Düffel, ...) eingeschoben. Wenn es Sie interessiert: Schauen Sie ab und zu mal vorbei...

Grundkategorien zur Beschreibung epischer Werke

Der Begriff ist unbefriedigend aber – ich hab keinen besseren. Gemeint sind diejenigen Begriffe, die es uns erlauben, wesentliche Elemente des Epischen zu identifizieren, Grundgrößen  des Erzählens zu markieren, eine Verständigung über wesentliche Verfahren der Darstellung zu ermöglichen.

Es wird dabei zu Überschneidungen, vielleicht sogar zu  widersprüchlichen Verwendungen kommen. Ich lege weniger Wert auf wissenschaftliche Systemtreue als vielmehr auf unterrichtliche Brauchbarkeit. Mir ist letztlich jede Strategie recht, die das Verstehen eines Werkes befördert. Und wenn sich dann zwei Strategien aus zwei gegensätzlichen „Lagern“ anbieten, greife ich auf beide zu.

Im Folgernden wähle ich eine willkürliche Anordnung der Teile im Sinne einer offenen Liste. Da sind Ergänzungen, Umstellungen usw. möglich. Auch Neuzordnungen können gegebenenfalls vorgenommen werden.

Selbstverständlich ist es nicht zu empfehlen, alles an jedem „Gegenstand“ auszuprobieren. Auch da wird auswählen sein. Die Unterrichtsmodelle, die ich anbiete (anbieten werde), lassen erkennen, dass da immer mit einer je neuen, gegenstandsadäquaten Auswahl gearbeitet wird.

1                  Die Fabel und die historische Dimension

Im Erzählen wird eine „Geschichte“ konstituiert. Der Erzähler lässt „etwas geschehen“. Zu schnell ist der Zuhörer dann bereit, das Erzählte auch tatsächlich für ein „Geschehen“ zu nehmen, das real stattgefunden hat.

Grundbedingung für jedes angemessene Verstehen ist nun die Bereitschaft und Fähigkeit, das erzählte „Geschehen“ in seiner Fiktionalität zu belassen und doch seine Verknüpfung mit der Wirklichkeit zu erkennen.

1.1            Konzeption der Fabel als Fiktion

 

Grundsätzlich stellt jeder Stoff, der episch verarbeitet wird, eine Fiktion dar.

Wird der Stoff  nun aus der Geschichte gewählt, so ist man versucht, mit Hilfe anderer „Quellen“ ein „objektives“ und/oder umfassenderes Geschichtsbild herzustellen, möglicherweise sogar um von hier her dann die Fabel des epischen Textes besser „verstehen“ oder gar „erklären“ zu können. Grundsätzlich gilt hier:

-    Es ist bestenfalls eine Rekonstruktion der benutzten Stoffquellen  sinnvoll (etwa um die „Abweichungen“ im konkreten Fall, die Veränderungen, die Auswahl usw. besser beurteilen zu können. Es könnte so auch möglich werden, Besonderheiten (etwa im Bereich „Verknüpfung der Fabelteile“) besser  erkennen zu können.

-    Für die Interpretation eines Werkes ist die Rekonstruktion der historischen Zusammenhänge seines „Stoffes“ von sekundärer Bedeutung. (Die Diskussion, ob etwa der Pharao in Thomas Manns „Joseph“ der historische Echnaton sei oder nicht, ist für eine Interpretation belanglos.)

-    „Grundsätzlich besitzt die erzählerische Fiktion ebenso eine eigene Raum-Zeit-Konstellation, wie sie überhaupt einen Lebenszusammenhang darbietet, der von der realen Wirklichkeit … kategorial verschieden ist.“ (E. Lämmert) Man denke in diesem Zusammenhang etwa an die mythische Verschachtelung der Zeitebenen im Josephsroman oder in Grass’ „Butt“, wo diese Verschachtelung selbst symbolträchtig wird. In gleicher Weise kann man das Raumgefüge im „Joseph“ sehen als „mythische Ortsschichtung“: Scheol Ägypten hält die Jakobsperspektive in Erinnerung, Kanaan als Ort der „Gottesbegegnung“ und des „Hervordenkens“…). Zusammengefasst: Zeiten und Orte gehorchen werkimmanenten Gesetzen und entwickeln eine immanente Semantik.

1.2            Entwurf der Fabel als Auswahl und Verknüpfung

 Aus einem prinzipiell möglichen Kontinuum werden Ereignisse/Ereignisteile ausgewählt, isoliert und miteinander verknüpft. Es versteht sich von selbst, dass die Auswahl bzw. Ablehnung von „Möglichkeiten“ von besonderer Bedeutung ist. Aber auch die Verknüpfung der Geschehensteile ist von grundsätzlicher Bedeutung. Je nach Verknüpfungsmodus wird ein bestimmter Schwerpunkt gesetzt, wird Handlungsabfolge organisiert und schon in der Komposition in ihrer Deutung festgelegt. So könnte man etwa unterscheiden:

-         temporal: der Ablauf des Geschehens wird aus der Distanz des Betrachtenden gesehen und beurteilt (Bsp.: Simplizissimus, Felix Krull)

-         final: jedem Entwicklungsschritt wird ein bestimmter Heilsplan (vergleichbar der aristotelischen „Entelechie“) unterstellt. (Beispiele: Wolframs „Parzival“, Goethes „Wilhelm Meister“)

-         kausal: der Erzähler fragt nach Schicksal und Freiheit (Beispiel: Grass: „Der Butt“ aber wohl auch Kästners „Fabian“)

 Wir finden die verschiedenen Modi in aller Regel gemischt, wir können aber von Fall zu Fall bestimmte Akzentsetzungen feststellen. Solche Akzentsetzungen sind für eine Gesamtdeutung besonders wichtig.

Gleichgültig, was nun die Stoffwahl und Auswahl ursprünglich veranlasste, mit Beginn der Fixierung beginnt ein Prozess der (Neu-) Verknüpfung, der Stoff entwickelt eigene Gesetze und auch eine eigene Finalität.

Ausschnitthaftigkeit und Verknüpfung aber  garantieren letztlich auch bei historischem Material die Fiktionalität. Das heißt dann: Der spezifische Darstellungsgegenstand ist und wird nur durch die Fabel, dort aber unverwechselbar. (Der „Joseph“ Thomas Manns ist weder der des AT noch der des Koran. Es ist nicht zulässig, am einen gewonnene Erklärungsmuster auf den anderen zu übertragen, es sei denn, die Fabel selbst fordert dazu auf. Und auch dann ist äußerste Vorsicht geboten.

 

1.3            Aufbau der Fabel – Dimensionierung der Teile

 

Dem Aspekt der Auswahl verwandt ist der Aspekt der Dimensionierung der Einzelteile. Natürlich werden so Akzente gesetzt, werden Zeiträume überbrückt, hervorgehoben, verbunden.

Aber auch Einbettungen (in Rahmen wie in Vorgeschichten, Großereignisse) verorten das Geschehen des Zentrums, steuern als Strukturvorgaben das Gesamtverstehen.

Leitmotivisch wiederkehrende Zeiträume bzw. Geschehensteile und Teilhandlungen können symbolischen Charakter annehmen.

 

2                  Der Erzähler

 In der Epik haben wir es mit erzählter Welt zu tun. Diese „erzählte Welt“ ist immer vermittelte Welt.  Damit eröffnen sich sowohl über die Form der Vermittlung als auch über den Vermittler  selbst Zugänge. Beide, Form und Erzähler, sind grundsätzlich im Werk präsent und zugänglich.

Im Erzähler ist der zentrale Bezugspunkt zu sehen, von dem aus sowohl die Wahl der einzelnen Geschehensteile als auch die Festlegung der Ausschnitte und der Perspektivierung organisiert sind.

Der Autor selbst steht prinzipiell außerhalb des Werkes. Es wird immer problematisch bleiben, über den Erzähler zum Autor vordringen zu wollen. Der Erzähler ist immer Teil der Fiktion, Rolle, ganz gleich, ob er im Werk unmittelbar in Erscheinung tritt (als auktorialer oder als Ich-Erzähler), oder ob er sich nur mittelbar zu erkennen gibt als eine Instanz, die das Erzählen profiliert und die Perspektivik bestimmt, wenngleich sie nicht als Figur greifbar ist.

2.1            Zu den Typisierungen Stanzels (auktorial, Er-/personal, Ich-Erzähler)

Neben den Gefahren, die mit jeder Typisierung verbunden sind, haben wir es bei Stanzel zusätzlich mit logischen Problemen zu tun. Auch der Ich-Erzähler kann auktorial erzählen (vergl. etwa der übergeordnete Ich-Erzähler im „Simplizissimus“, der aus der Altersperspektive sich erinnert…). Vielleicht wäre es da doch besser, man schließt sich Klaus Gerth an (Gerth, Klaus: Elemente des Erzählens. Schroedel Schulbuchverlag, Hannover 1983) und typisiert nicht, sondern elementarisiert und beschreibt mittels der so gewonnenen elementaren Kategorien den ganz konkret auftretenden Fall. Für Gerth ergibt sich ein „elementarer Fragenkatalog“, der etwa so aussehen könnte:

Welche Haltung nimmt der Erzähler ein?

Wie verhält er sich zu Figuren und Geschehen?

 

                   Neutral---------------------------kommenteirend/bewertend---------------sich indetifizierend

 

Welchen Standort hat er gegenüber den Figuren?

                   Auktoriale Distanz ----------------------------------------------------- personale Nähe

 

Welches Wissen besitzt er/gibt er zu erkennen?

                  Er weiß mehr als die Figuren -------------- er weiß gleich viel --------------- er weiß weniger

 

In welcher Form tritt der Erzähler auf?

                         Ich ----------------------------------------------------------------------------------- Er

 

Systematisch lassen sich diese Fragen aus einer Kreuzung der Felder „Mitteilungsform“ und „Standort zum Geschehen“ ableiten.

 

 


 

Standort zum Geschehen   -->   |           auktorial         |             personal

                                             |                                 |

Mitteilungsform                        |                                |

_____________________________|____________________|__________________________________

Ich                                          |                                |

                                              |                                |

_____________________________|____________________|_________________________________

Er                                            |                                |

 _________________________________|_______________________|_____________________________________

Wir können nun freilich nicht unterstellen, es geben in einem Roman nur eine Erzählerrolle. Es ist immer wieder zubeobachten, dass sich die Rolle jeweils ändert und es eben darauf ankommt, das ganz konkrete Autreten genauer zu unterwuchen.

Besonders interessant werden dann diejenigen Stellen, wo ein Erzähler von einer Rolle in die andere schlüpft, ein Vorgang, den wir etwa bei Thomas Mann recht häufig beobachten können.

Beispiel: „Joseph“:

Wir finden immer wieder den Wechsel vom auktorialen Ich (… unser Held…) zum personalen „Er“ (psychische Situation wird angerissen), zum auktorialen Er (Einbettung in die Erfahrung) zum  auktorialen Ich (Reflexion … Thomas Mann spricht von der „Feierstunde der Handlung“).

Aus diesen Andeutungen wird bereits erkennbar, wie wichtig eine präzise Beschreibung der Erzählerrolle werden kann für eine Deutung bzw. Einbettung des konkreten Falls in eine Gesamtdeutung.

2.2            Verschiedene Formen des Erzählens

Grundsätzlich lassen sich zwei Sageweisen unterscheiden: Einmal die Sageweise, die ein zeitliches Nacheinander ins Auge fasst, zum andern eine eher zeitlose Sageweise, die sich der Beschreibung und Reflexion zuwendet.

Unter den so genannten „primären“ (zeitlichen) Erzählweisen unterscheiden wir zwei Formen:

-         Die berichtende Darstellung

      Hier haben wir wohl die grundlegende Form des Erzählens vorliegen. Der Bericht ist in der Lage, sowohl große Zeiträume zusammenzufassen, zu raffen, aber auch kleine geschehensteile in ihrer Abfolge minutiös darzustellen. Allerdings können wir feststellen, dass mit abnehmender Raffung hin zu zeitdeckendem Erzählen die „szenische Darstellung in den Vordergrund tritt. Der Bericht lässt sich begreifen als sachlich distanzierte Darstellung von Geschehen/Handlung. Die distanzierte Sachlichkeit erweckt den Eindruck realistischer Wiedergabe von Wirklichkeit, die sich subjektiver Urteile enthält. Es ist zu beachten, dass gerade im Bereich literarischer Darstellungen Objektivität bestenfalls nur scheinbar sein kann, dass es immer um Fiktion, um Entwurf geht.

-         Die szenische Darstellung

      Die szenische Darstellung bringt Geschehenes (genauer: Geschehen) unmittelbar zur Anschauung. Auch hier wird der Eindruck von Wirklichkeitsnähe im Sinne einer Eins-zu-eins-Abbildung erweckt.  Die Illusion, man könne sich in der Handlung selbst bewegen, wird beim Leser erzeugt. Das Miterleben schafft Spannung, der dramatische Effekt liegt auf der Hand.

Die zeitunabhängigen Sageweisen lassen Beschreibung und Erörterung/Reflexion unterscheiden.

-         Die Beschreibung wird immer dann eingesetzt, wenn etwas vorzustellen, anschaulich zu machen ist. Dabei kann es sich um Räume aber auch um Figuren handeln. Die Beschreibung „charakterisiert“. In dieser Beschreibung lässt sich zwanglos eine Wertung (durch den Erzähler oder eine Romanfigur) vermitteln. Stimmungen, Kontrastierungen, aber auch Kommentierungen lassen sich durch solche Beschreibungen unterschwellig erzeugen. Allerdings wird immer die Handlungssukzession unterbrochen. Zum Fortgang einer Entwicklung tragen Beschreibungselemente bestenfalls mittelbar bei, indem sie etwa bestimmte Aspekte einer Entwicklung (einen Zustand z.B.) entfalten.

-         Die Erörterung bringt immer eine Retardierung, aber auch ein Abstandnehmen, eine Vertiefung, eine Bewertung. Der Leser wird mit dem Sprechenden aus dem Geschehensablauf herausgezogen, auf Distanz gebracht und in die Lage versetzt, sich einem Nachdenken und beurteilen zuzuwenden. Immer wenn es um die Überprüfung von Entscheidungen, Werthaltungen, Weltanschauungen, ja Überzeugungen usw. geht, werden solche Passagen in die Erzählung eingeschoben. Allerdings wird gerade durch die Distanzierung und den durch sie erweckten Anschein der Objektivität die Chance einer Manipulation des Lesers umso größer: Er vertraut der Objektivität des Beurteilenden, aus der Distanz reflektierenden Erzählers, schließt sich ihr an und gibt das eigene Urteil auf.

2.3            Rollen des Erzählers

Eine weitere Möglichkeit, Erzählen durch Kategorien zu erfassen, wäre die Unterscheidung nach Ich- und Er-Erzähler. Wir müssen dann aber weiter differenzieren.

Beim Ich-Erzähler sind zwei deutlich unterscheidbare Formen festzustellen:

-         Erster Fall: Der Ich-Erzähler bleibt eigentlich in der Er-Rolle. Er wir d nicht zu einer Figur des konkret erzählten Geschehens. Er profiliert sich allerdings stärker als Figur des Erzählens, d.h. des Kommunikationsprozesses zwischen Text und Leser.

-         Der zweite Fall sieht den  Ich-Erzähler als Handelnden, als von der Handlung betroffene Figur. (Stanzel spricht in diesem Zusammenhang vom „Ich mit Leib“). Auch dieses „beteilige Ich“ kann nun in zwei Rollen auftreten: Einmal distanziert sich erinnernd, beurteilend, kommentierend, d.h. das Ich hat vor langer Zeit an der Handlung teilgenommen, heute tritt es als berichtendes Ich auf. Es kann dann gelegentlich in ein Ich hineinschlüpfen, das Handlung vergegenwärtigt und unmittelbar agiert. Wir können also ein erzählendes von einem erzählten Ich unterscheiden. Die Distanz zwischen beiden kann sich verschieben, der Schwerpunkt kann wandern. (Man denke etwa an Felix Krull!)

Der Erzähler hält sich konsequent aus der Handlung heraus, wird aber doch mehr oder weniger erkennbar (etwa in Schilderungen, Beurteilungen, Kommentaren. Da steht er dem Leser näher.) Bei der Wiedergabe von Dialogen ist er kaum mehrerkennbar, es sei denn in wertenden Redeerklärungen. Der 2Ich-Jetzt-Hier-Standort“, d.h. der Bezugs- und Orientierungspunkt für die zeitliche, räumliche und konfigurative Perspektivierung kann sich verschieben und dabei den Leser mitziehen. So entsteht dann der Eindruck von Unmittelbarkeit (etwa in Form der szenischen Unmittelbarkeit).

2.4     Das Verhältnis des Erzählers zu den Figuren

Einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt für die Erzählanalyse liefert die Frage nach dem Verhältnis des Erzählers zu seinen Figuren. Konkret: Wie steht der, der als „Herr der Geschichte“ auftritt, zu denen, die seine Handlung vorwärts treiben (oder von ihr getrieben  werden)? Im Josephsroman Thomas Manns z.B. tritt der Erzähler gerade an den Gelenkstellen des Erzählens, den Feierstunden der Geschichte“ ganz dezidiert in den Vordergrund, ohne freilich selbst Gestalt anzunehmen. Er spricht zwar als Ich/Wir, bleibt aber im Grunde ein Er-Erzähler ohne Leib. K. Gerth schlägt als Beschreibungskategorie hier „Erzählerverhalten“ vor um Phänomene wie das eben genannte besser fassen zu können. Gerth: „Es bewegt wich zischen zwei Polen. Entweder bleibt der Erzähler neutral…oder er macht sich kommentierend, fragend, werten teilnehmend oder reflektierend bemerkbar (Gerth S.27). Gerade bei Th. Mann wird dieses Hervortreten immer wieder eingesetzt, um Lesererwartungen und Leservorurteile in Frage zu stellen (neue. Überraschende Bewertungen…), um Identifikationen zu unterbinden (Kritik des Helden…) und vor allem, um Distanz herzustellen (ironische Brechungen…).

Wir können das Verhältnis des Erzählers zu seinen Figuren und deren Welt auch kategorial etwas genauer fassen. Hinsichtlich der Position kann unterschieden werden:

-         Der Erzähler steht innerhalb der erzählten Welt

-         Der Erzähler steht außerhalb der erzählten Welt.

Hinsichtlich der Distanz zu den erzählten Figuren ist zu  unterscheiden:

-         Nähe zur erzählten Figur

-         Ferne zur erzählten Figur.

Natürlich sind da eine Menge Schattierungen und Zwischenglieder möglich. Am deutlichsten werden diese verschiedenen Positionen an den verschiedenen Formen des Redens zutage treten. Klaus Gerth verdeutlicht die verschiedenen Stufen am Beispiel der Redewiedergabe (S.32 f) So können wir unterschieden:

-         Die Erzählerrede, die als zusammenfassender Bericht Distanz, Knappheit signalisiert, diese aber dann auch als direkte Rede die grundlegende Form des szenischen Darstellens ist. So wird direkte Rede und Erzählerwort geradezu kontrastiv nebeneinander stehen.

-         Die indirekte Rede betont demgegenüber das erzählende Moment im Roman. Hier haben wir es zu tun mit einer Redewiedergabe + Signal (Konjunktiv I) der Übermittlung. Die Grammatik liefert hier die Möglichkeit, die rede in den Gesamtvorgang des Erzählens einzuordnen, d.h. klar zu stellen, dass es einen Berichtenden gibt, dass es aber auch jemanden geben muss, der diese nun berichtete Rede auch gesprochen hat. Freilich kann der Erzähler, gerade wenn er in indirekter Rede das von einem andern gesprochene wiedergibt, schon auf Distanz gehen, ironische Wertungen vornehmen und dergleichen mehr.

-         Die erlebte Rede: Formal (Modus und Wortstellung) steht die erlebte rede zwischen direkter und indirekter rede. Der Ich-Jetzt-Hier-Standort verlagert sich in die Figur, der Erzähler bleibt noch präsent in der dritten Person Präteritum. M.a.W. es handelt sich hier umeine Figurenaussage, die allerdings nur mittelbar präsentiert wird. Die erlebte Rede ist Bestandteil des Berichtens/Erzählens und grammatisch kaum davon zu unterscheiden. Gerade die erlebte Rede macht es möglich, übergangslos und fast unbemerkbar die Erzählperspektive zu wechseln.

-         Wird die Rede völlig in die handelnde Figur hineinverlagert, so spricht man vom inneren Monolog. Er bringt Gedankengänge Assoziationen, Empfindungen, innere Vorgänge einer Romanfigur zum Ausdruck. Die syntaktische Struktur wird gegenüber dem übrigen Erzählvorgang verändert. Sprachmaterial wie Inhalt ist sehr stark auf die jeweilige Figur zugeschnitten.

2.4            Das Wissen des Erzählers

Gerade wenn es um eine genauere Beschreibung und Erfassung der Erzählerrolle geht, wird eine Frage interessant: Die Frage nach dem Wissen, dass der Erzähler besitzt bzw. zu besitzen vorgibt. Genauer gefragt. Welches Wissen kann welcher Erzähler wie mitteilen?

Zwei Gesichtspunkte sind hier von Bedeutung:

-         Der Überblick über Raum und Zeit

-         Der Einblick in das Bewusstsein der Figuren.

Das Wissen bezogen auf die Figuren lässt sich in drei Stufungen erfassen:

-         Der Erzähler weiß mehr als die erzählten Figuren.

-         Der Erzähler weiß weniger als die Figuren.

-         Der Erzähler weiß so viel wie die Figuren.

 

Der Überblick über Raum und Zeiterlaubt Vorausdeutungen, Aufzeigen von übergreifende Zusammenhängen, Parallelen, historischen Perspektiven bis hin zu menschheitsgeschichtlichen Perspektiven (Butt, Joseph…). Beim Leser entsteht und festigt sich der Eindruck einer ge3ordneten, überschaubaren Welt. (Dieser Eindruck kann wieder gebrochen werden durch die distanzierende, die Ordnung in Frage stellende Ironie…)

Die stärkste Rezeptionslenkung wird wohl durch einen Erzähler erzielt, der Einblick in das Bewusstsein der handelnden Figuren hat und seine Zuhörer dran teilhaben lässt. Sowohl der auktoriale Standort (Gedankenbericht) als auch der personale Standort (Innensicht) lässt diesen Einblick zu, der eine eher aus der Distanz, der  andere eher unmittelbar. Beide Formen führen zum verstehenden Mitvollzug, wobei natürlich der zweite Weg stärker auf Identifikation abzielt, wenn er nicht wiederum durch andere Mittel (Ironie…) diese Identifikation bricht.