
Einführung
Vorbemerkungen
Was geht den heutigen Schüler, den Schüler auf der Schwelle
ins dritte Jahrtausend, die Gestalt eines „rohen, wohlmeinenden Selbsthelfers in
anarchischer Zeit“ (Goethe, Dichtung und Wahrheit, 10. Buch) an?
In der Zeitenwende im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts
sieht Goethe das Ende des selbstständigen, natürlich-großen, kraftvollen
Individuums, das auf sich gestellt verantwortungsvoll und verantwortlich
handelt. Es wird abgelöst von einem überindividuellen, das Individuum nicht
weiter berücksichtigenden „System“, das den Einzelnen in Abhängigkeit hält, die
alten Rechte außer Kraft setzt, Freiheitsäußerungen beschränkt, wenn nicht ganz
aufhebt. Götz widersetzt sich all dem, wenn er das Faustrecht sowohl als
Äußerung seiner Freiheit wie auch als Gewährleistung von Recht und Gerechtigkeit
betrachtet und in die Tat umsetzt. So wird aus seinem Kampf der Kampf des
Einzelnen, der seine Freiheit und seine angestammten Rechte gegen ein sich
übergeordnet gebendes System – im konkreten Fall feudal bzw. klerikal
strukturiert – verteidigt. In diesem Kampf unterliegt der Einzelne am Ende, da
er in seiner Redlichkeit dem unredlichen Tun seiner Gegenspieler nicht gewachsen
ist. Götz von Berlichingen, der Lektüreklassiker, könnte so gesehen
vielleicht doch zu mehr werden als nur „schulischem Stoff“, wenn man, ganz im
Sinne des jungen Goethe, des Stürmers und Drängers, das Individuum sieht, das
sich in seinem Handlungsspielraum ebenso wenig einengen lässt wie in seinem
ethischen Anspruch, dem es aus eigener Sittlichkeit heraus, und nicht aufgrund
äußerer Setzungen gerecht wird.
In diesem Sinne könnte auch dem heutigen Menschen das
goethesche Konzept zumindest einige Denkanstöße geben, denn was sich für Goethe
in Götz rudimentär zeigte, ist heute allgemeine Wirklichkeit und nicht mehr
hinterfragte Norm geworden. Der Einzelne in seinem Bemühen, mag das auch noch
so lauter sein, erscheint antiquiert und überlebt in dem Augenblick, wo er mit
dem allmächtigen System in Kollision gerät. Goethe greift auf den historischen
Zeitpunkt zurück, wo er erstmals die Unterordnung des Einzelnen unter ein
„System“ auszumachen glaubt, auf das ausgehende Mittelalter. Und doch spiegelt
das Stück weniger im Sinne eines Historiendramas die Situation des
Spätmittelalters als vielmehr das, was Goethe in seiner Zeit wahrnimmt. Er
sieht, wie andere Stürmer und Dränger, das handelnde Individuum gefährdet,
sieht die Helfer des Systems, die subalternen Diener übergeordneter Macht auf
dem Vormarsch.
Wolfgang Kayser charakterisiert Goethes Einstellung knapp:
„An der Figur Götzens hat sich der Dramatiker begeistert: Ich dramatisiere
die Geschichte eines der edelsten Deutschen, rette das Andenken eines braven
Mannes …“ Bruder Martin „nennt ihn so,
wie wir ihn im ganzen Drama sehen sollen: einen großen Mann.“ (Goethes
Werke Bd.IV; Christian Wegener Verlag Hamburg 6.Aufl. 1965 S. 484)
Für Goethe war die Frage nach dem Gewaltmonopol des Staates
noch diskutabel, für uns Heutige ist diese Frage beantwortet, wenngleich sie
immer wieder dann aufbricht, wenn sich die Staatsgewalt zu viel „herausnimmt“.
Das Konzept, das hinter der vorliegenden Sequenz steht,
stellt die hier angeklungene Frage in den Mittelpunkt. Damit wird zwangsläufig
einer selektiven Interpretation das Wort geredet, die möglicherweise wichtige
Interpretationsaspekte (so z. B. die
Figur der Adelheid) weitgehend ausblendet. Das wird zugunsten der Konzentration
auf den didaktische profilierten Schwerpunkt in Kauf genommen.
Inhaltsangabe
Götz von Berlichingen, ein reichsunmittelbarer Ritter des
beginnenden 16. Jahrhunderts, lebt noch ganz in den Rechtsvorstellungen des
Mittelalters, nach denen es Sache des Einzelnen ist, für Recht und Gerechtigkeit
zu sorgen. Er sieht sich in seiner Freiheit wie in seinen Rechten durch die
Fürsten und Bischöfe bedroht und setzt sich gegen diese Bedrohung zur Wehr. Götz
ist dabei auch als Verbündeter von Schwächeren, die in Konflikt geraten mit den
Fürsten bzw. den freien Reichsstädten. Auch ihnen verschafft er ihr Recht, indem
er sich der Mittel bedient, die das mittelalterliche Recht vorsieht: Fehde und
ritterlicher Zweikampf. Ist ein Rechtshändel geklärt, so einigt man sich und
sichert sich gegenseitig friedliches Verhalten zu. So geschah es auch zwischen
Götz und dem Bamberger Bischof, welcher sich
dann aber nicht an die Abmachungen hält und
einem von Götz’ Reitern gefangen
nimmt. Götz erfährt von dieser Gefangennahme und fängt im Gegenzug Weislingen,
einen Ritter, der sich in den Dienst des Bamberger Bischofs gestellt hat und das
Leben eines freien Ritters gegen das Hofleben eingetauscht hat. Götz führt
Weislingen auf seine Burg und hält ihn dort als Geisel, allerdings in
ritterlicher Gefangenschaft, schließlich war Weislingen einmal sein
Jugendfreund. Weislingen verliebt sich in Götzens Schwester Maria und verlobt
sich mit ihr. Er will seine Angelegenheiten auf seinen Gütern wie am Bamberger
Hof regeln und reitet weg. Als er an den Bamberger Hof zurückkehrt, kann er den
Reizen Adelheids, die im Auftrag des Bischofs intrigiert, nicht widerstehen und
heiratet sie schließlich. Von nun an lässt er sich zum Werkzeug der Fürsten
machen und agiert leidenschaftlich gegen
Götz, vor allem bringt er den Kaiser so weit, die Reichsacht gegen Götz
und seine Anhänger zu verhängen. Zu diesen Anhängern gehört auch Franz von
Sickingen, der inzwischen um Marias Hand angehalten hat. Ein kaiserliches Heer
belagert die Burg von Götz, der den Belagerern zunächst widersteht, dann aber
verraten und gefangen genommen wird. Er soll nun gezwungen werden, vor den
Ratsherren in Heilbronn Urfehde zu schwören. Sickingen, der sich rechtzeitig
abgesetzt hatte, erscheint mit seinen Reitern, besetzt das Heilbronner Rathaus
und befreit Götz. Dieser begibt sich in ritterliche Haft auf seine Burg.
Inzwischen haben sich die Bauern der Gegend erhoben und ziehen mordend durch die
Gegend. Sie nötigen Götz, ihnen den Anführer zu machen. Götz bricht sein Wort,
das ihn zum Stillhalten verpflichtet, und wird Anführer im Glauben, er könne
so der Mordbrennerei ein Ende machen. Die Bauern aber verweigern ihm den
Gehorsam und werden vom kaiserlichen Heer geschlagen. Götz wird erneut gefangen
genommen. Adelheid, die inzwischen auf eine Verbindung mit dem zukünftigen
Kaiser hofft, vergiftet Weislingen, der vor seinem Tod noch das Todesurteil
gegen Götz vernichtet. Das Stück endet mit der Erkenntnis des sterbenden Götz,
er habe sich „selbst überlebt“. In der nun anbrechenden Zeit wird Betrug und
List herrschen, Nichtswürdige werden regieren.
Methodisch-didaktische Hinweise
Die Sequenz gliedert sich deutlich in drei Phasen. Die
erste Phase (1. bis 9. Unterrichtsstunde) stellt die Behandlung des Stückes in
den Mittelpunkt. Sie kann losgelöst von den beiden folgenden Phasen behandelt
werden. Die vorgeschlagene Klausur bezieht sich auf diesen Teil der
Gesamtsequenz. In der zweiten Phase (10. /11.
Std.) geht es um eine handlungsorientierte Aufarbeitung des Problems in Form
einer einlässigen Gerichtsverhandlung. Die dritte Phase (12. /13.
Std.) schließlich arbeitet produktionsorientiert und nutzt die Chance,
einerseits das eigene Tun berichtend darzustellen, andererseits sich mit
Textformen auseinander zu setzen, wie sie in den Medien genutzt werden.
Auf eine „literaturgeschichtliche Einordnung“ wird
weitgehend verzichtet. Die Schüler im 9. Schuljahr sollen mit Literatur bekannt
gemacht werden, sollen Interesse für das Stück, für die Figuren, ihre Motive und
Gefühle entwickeln. Sie sollen teilnehmen und Partei ergreifen. Das sollte nicht
durch literaturgeschichtliche Betrachtungen unterlaufen werden.
Die Sequenz setzt voraus, dass die Schüler schon zur ersten
Stunde den gesamten Texte gelesen haben. Sie sollten beim ersten Lesen die
Stellen markieren, die sie nicht verstehen. An diesem Punkt wird die Arbeit
einsetzen. Die erste Unterrichtsphase wird entsprechend viel Zeit dafür
aufwenden, den Text (das Geschehen …)
nachzuvollziehen und für die folgenden Schritte verfügbar zu machen. Diesem
Zweck dienen auch die zu den einzelnen Akten anzufertigenden Karten.
Lernziele
Weiterführende Literatur
[1]
Boerner, Peter: Johann Wolfgang von Goethe mit Selbstzeugnissen und
Bilddokumenten. 29. Aufl. Reinbek 1995
[2]
Cassirer, Ernst: Goethe und die geschichtliche Welt. Berlin 1932
[3]
Conrady, Karl Otto: Goethe. Leben und Werk. 2 Bde. Königstein 1982 u. 1985
[4] Emrich,
Wilhelm: Goethes Tragödie des Genius. Von ›Götz‹ bis zur ›Natürlichen Tochter‹.
In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 26 (1982), S. 144 – 162
[5] Fehr,
Wolfgang: Der junge Goethe. Drama und Dramaturgie. Paderborn 1994
[6]
Gerstenberg, Ekkehard: »Recht und Unrecht in Goethes ›Götz von Berlichingen‹«.
In: Goethe Jahrbuch, N.F. 16 (1954), S. 258 – 271
[7]
Goethes Dramen. Neue Interpretationen. Hrsg. v. Walter Hinderer. Suttgart 1980
[8]
Huyssen, Andreas: Drama des Sturm und Drang. München 1980
[9] Jeßing,
Benedikt: Johann Wolfgang Goethe. Stuttgart, Weimar 1995
[10] Keller, Werner:
»Das Drama Goethes«. In: Handbuch des deutschen Dramas. Hrsg. v. Walter Hinck.
Düsseldorf 1980, S. 133 – 156
[11] Martini, Fritz:
»Goethes ›Götz von Berlichingen‹. Charakterdrama und Gesellschaftsdrama«. In:
Ders.: Geschichte im Drama, Drama in der Geschichte. Stuttgart 1979, S. 104 – 128
[12] McInnes, Edward:
Moral, Politik und Geschichte in Goethes ›Götz von Berlichingen‹. In:
Zeitschrift für deutsche Philologie 103 (1984) Sonderheft, S. 2 – 20
[13] Müller, Peter:
Aber die Geschichte schweigt nicht. Goethes ›Geschichte Gottfriedens von
Berlichingen mit der eisernen Hand, dramatisiert‹ als Beginn der deutschen
Geschichtsdramatik. In: Zeitschrift für Germanistik 8 (1987), S. 141 – 159
[14] Neuhaus, Volker:
»Johann Wolfgang Goethe: ›Götz von Berlichingen‹«. In: Geschichte als
Schauspiel. Deutsche Geschichtsdramen. Interpretationen. Hrsg. v. Walter Hinck.
Frankfurt a. M.
1981, S. 82 – 100
[15] Staiger, Emil:
Goethe. 3 Bde. Zürich 1952 – 1959
[16] Zimmermann,
Rolf-Christian: Das Weltbild des jungen Goethe. 2 Bde. München 1969, 1979
Hinweis:
Ein ausführliches Modell finden Sie hier:
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oder hier:
http://www.weltbild.de/3/17863093-1/ebook/johann-wolfgang-von-goethe-goetz-von-berlichingen.html