Apropopos PISA

 

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1.     These: PISA liefert eine selegierende Beschreibung eines Ausschnitts dessen, was ist.

 

Die Untersuchung kann und darf nicht als Handlungsanweisung verstanden werden.

Wohl aber sind aus einer kritischen Würdigung der von PISA angewandten Kriterien wie auch aus der Analyse der Ergebnisse Konzepte zu entwickeln, die auf eine Beseitigung der festgestellten Mankos ausgerichtet sind. Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass von PISA nicht erfasste (Nachbar-)Bereiche nicht beschädigt werden.

 

Konsequenzen

Die Entwicklung von Konzepten, die geeignet sind, die von PISA aufgedeckten Mankos zu beseitigen, darf nicht Politikern überlassen werden. Sie ist eine Aufgabe für Fachleute. Sie ist allerdings nicht Aufgabe eines Faches, wenngleich ein Fach –aufgrund der Sachlage – sehr wohl federführend auftreten kann. Man versucht gelegentlich, vor allem, wenn es um die Suche nach Schuldigen geht, die Deutschlehrer an den Pranger zu stellen. Dabei wird doch einiges übersehen. Ich denke, wir sollten auf Schuldzuweisungen verzichten und klar stellen, dass zumindest für die Zukunft die Verantwortung bei allen Fächern liegt und dass kein Fach sich dieser Verantwortung entziehen darf. Das allerdings lässt sich nur erreichen, wenn klare Aufgabenstellungen vorliegen, wenn also präzise beschrieben wird, was in welchem Fach und in welcher Jahrgangsstufe zu tun ist.

 

2.    These: PISA verwendet einen nicht unbedingt sachgerechten Textbegriff.

 

Zum einen spricht man von kontinuierlichen Texten, die in Sprache vorliegen, zum andern aber auch von Texten, in denen die Informationen nicht fortlaufend und auch nicht immer verbal dargestellt werden (S.23).

Gerade in der zweiten genannten Gruppe wird einiges durcheinander gewirbelt. Und dabei betreffen fast 40% der Aufgaben diesen Bereich! Freilich: Formulare und Anzeigen könnte man u.U. noch als Texte im üblichen Sinn verstehen. Diagramme/Graphen (11% der Aufgaben!), Tabellen (11%) schematische Zeichnungen (4%) und Karten(3%) aber stellen etwas qualitativ völlig anderes dar. Wer je versucht hat, eine als Piktogramm – Folge vorliegende IKEA-Bauanleitung zu benutzen, weiß, dass da etwas völlig anderes vorliegt als eine in Worte gefasste Bauanleitung. Worin das Charakteristische der Gruppe zu sehen ist, vermag ein weiteres Beispiel genauer zu verdeutlichen: Ein Balkendiagramm, das die Ergebnisse der letzten Wahl darstellt, bedient sich strukturell derselben Darstellungsmittel wie eine mittelalterliche Miniatur, auf der Ritter und Fußvolk dargestellt werden. In beiden Fällen geben die Größenverhältnisse Auskunft über Gewicht und Bedeutung des Dargestellten (und nicht etwa im Sinne einer Perspektivik über die Entfernung vom Betrachter).

Das Einzige, was allen von PISA einbezogenen Elementen gemeinsam ist, ist die Tatsache, dass sie auf Papier gedruckt vorliegen und dass sie Informationen enthalten. Darüber hinaus aber gibt es grundlegende qualitative Unterschiede, die wir beachten müssen, wollen wir den Schülern tatsächlich helfen, an die jeweiligen Informationen sachgerecht heran zu kommen. Wir sollten besser nicht pauschal von Texten sondern von Dokumenten sprechen und da dann unterscheiden zwischen Texten im eigentlichen Sinn – sie vermitteln Informationen via Sprache – und Dokumenten, die sich ikonischer oder ähnlicher Mittel bedienen bei der Informationsvermittlung.

Konsequenzen:

(1) Es müssen Verstehensstrategien für verbal realisierte Texte ausformuliert werden. Diese Strategien müssen

a)                domänenunabhängig Verstehensprozesse ermöglichen und fördern und

b)                domänenbezogen präzise Verstehenswege beschreiben.

 

(2) Wollen wir Zugang zu ikonisch vermittelten Informationen gewinnen, so müssen wir

a)         die jeweilige ikonische Semantik kennen (jede Karte z.B. liefert die entsprechende Legende mit). So wird dann die Information „sinnfällig“.

b)         Soll sie aber rational verarbeitet werden, muss sie in einem zweiten Schritt begrifflich gefasst, also in Sprache „übersetzt“ werden. Es müssen also, will man Verstehensstrategien entwickeln, neben den Wahrnehmungsstrategien auch Versprachlichungsstrategien entwickelt werden. M.a.W.: Nur ein in Sprache gefasstes Balken- oder Kuchendiagramm ist tatsächlich verstanden, kann weiter verarbeitet, verglichen, ausgewertet, im künftigen Handeln berücksichtigt werden.

Damit wird deutlich: Das Verstehen beider Gruppen von  Dokumenten gehört – zumindest was die Basistätigkeit betrifft – zum Aufgabenbereich des Deutschunterrichts, sofern der es mit Sprache zu tun hat.

 

3.These: Der von PISA verwendete Verstehensbegriff ist einseitig und darf nicht verabsolutiert und dogmatisch angewandt werden.

 

PISA stellt sich erklärtermaßen in die angelsächsische Tradition und verwendet einen rein behavioristisch - funktional ausgerichteten Begriff. Er ist nicht geeignet, den kontinentaleuropäisch in zweieinhalb Jahrtausenden ausgebildeten Begriff zu ersetzen, da er bestimmte Aspekte, wie z.B. das ästhetische, das kritisch-reflektierende, das hermeneutische Verstehen nicht erfasst. Im Bild: PISA, das ist, als würde man mit Fast-food-Kriterien, bei Mc Donalds gewonnen, die französische Haute cusine beschreiben und beurteilen wollen. Wenn es da um das zweckmäßige, schnelle Abfüttern mittels vorgekauter Bouletten geht, würden die Sterne mancher Köche sehr schnell verblassen.

Aber: Der von PISA verwendete Begriff legt Versäumnisse offen, die sich in der Folge des bisher (fast ausschließlich) gepflegten Begriffs ergaben.

 

Konsequenzen:

Der von PISA verwendete Verstehensbegriff macht auf Mankos aufmerksam, die in der Folge einer einseitigen Orientierung am hermeneutischen Verstehensbegriff entstanden sind. Deshalb muss dieser Begriff dringend ergänzt werden durch den von PISA nahe gelegten Begriff. „Ergänzt“ sagte ich. Nicht „ersetzt“!

Unser bisheriger Begriff muss uneingeschränkt beibehalten werden. Es ist aber ein zweiter Begriff ins didaktische Feld einzuführen bzw. weiter auszuarbeiten, ohne dass der erste eingeschränkt, beschädigt oder auch nur relativiert wird.

Dieser zweite Begriff und die von ihm bezeichnete „Sache“ ist Aufgabe aller Fächer. Es wäre deshalb am sinnvollsten, ein eigenes, möglicherweise virtuelles Fach zu konstituieren, in dessen Zentrum die hier angesprochene Schlüsselqualifikation steht.

Der deutlich funktionale Verstehensbegriff impliziert vor allem folgende Faktoren bzw. Prozesse:

a)      eher textintern basierte Prozesse, die sich

-              entweder auf den Text als Ganzes beziehen (Sinnerwartung; Sinnaufbau; Gesamtverständnis) oder

-              auf Textteile richten (Semantik, Syntax; Detailinformationen, Strukturzusammenhänge)

b)     eher textextern basierte Prozesse, die sich entweder

-              auf das Domänenwissen (Rahmenorientierung; Detailwissen) oder

-              auf das Weltwissen (Weltbild, Wertorientierung) stützen.

 

Eine entsprechende Verstehensstrategie hat zu fragen: Welche Faktoren(gruppen) sind einer Einflussnahme zugänglich, können also (positiv) verändert werden? Pisa gibt da brauchbare Hinweise:

Neben dem Leseinteresse (.11) sind vor allem Lernstrategiewissen (.23) und Decodierfähigkeit (.22) wichtige beeinflussbare Faktoren.

 

Ein Curriculum wird folglich folgende Schritte zu berücksichtigen haben:

a)     Entwicklung textbasierter Schritte

-              hin zum (Gesamt-) Verstehen (etwa: Abschnittinformationen zusammenfassen; Gesamtthema eruieren…)

-              detaillierter Mikroverfahren der semantischen und syntaktischen Dekodierung (etwa: Schlüsselwörter identifizieren; Begriffsgefüge durchschauen…)

b) Entwicklung von Verfahren, die das Verstehen im Rahmen des Domänenwissens konstituieren (etwa: Fachbegriffe erkennen und klären…)

c)      Entwicklung von Verfahren, die das Weltwissen und seinen Einfluss auf das Gesamtverstehen einbeziehen (etwa: Werturteile und ihr Hintergrund…)

 

Die Verfahren sind sowohl für verbale Texte wie für ikonische Informationsträger auszuarbeiten.

 

4.These: Die (möglicherweise schon explizit vorhandenen) einschlägigen Curricula müssen entschieden erweitert, differenzierender ausgearbeitet und präziser gefasst werden. 

 

Da das in Frage stehende Sachfeld  alle Fächer berührt, muss die Anwendung der Curricula quer durch die Fächer gesichert sein. Da die die notwendige Basisqualifikation mit Sprache zu tun hat, könnte der Deutschunterricht federführend (aber nicht: allein verantwortlich!) auftreten bei der Konstitution etwa eines virtuellen Faches „Lesen – verstehen“, dessen Curriculum dann im Rahmen des Fachunterrichts realisiert wird.

 

Konsequenzen:

Inhaltlich ist zu dem angesprochenen Curriculum soviel zu sagen:

a)     Es bringt nichts, in einen blinden Aktionismus auszubrechen und zu glauben, man brauche die Kinder nur viel lesen zu lassen, um sie zu guten Verstehern zu machen.

b)     Wir müssen uns einlassen auf die Komplexität der Verstehensprozesse und genauer untersuchen, was da wie konkret abläuft und was wie einer Veränderung zugänglich ist.

c)      Wir müssen feststellen, in welchen Feldern Verstehen sich abspielt. Dabei ist Verstehen nicht nur domänenabhängig. Selbst innerhalb einer Domäne können von Dokument zu Dokument, ja von Text zu Text geradezu gegenläufige Operationen notwendig werden, soll es zu einem sachgerechten Verstehen kommen. [ So finden sich gerade in den „Sachfächern“ Biologie, Physik, Erdkunde… viele Texte, die eigentlich nur aus wesentlichen Informationen bestehen, also im Grunde nur noch „gelernt“ werden müssen. Sollen diese Texte verstanden werden, so wird es notwendig, jeder wichtigen Information gewissermaßen eine Geschichte „anzulagern“, sie also zu „veranschaulichen“ um sie, ganz im eigentlichen Wortsinn, be - greif – bar zu machen. Bei anderen Texten derselben Bücher wird es nötig, aus epischen Darbietungen zentrale Informationen im Sinne der Domäne herauszufiltern, sie auf den Begriff zu bringen und einer weiteren Verarbeitung zugänglich zu machen.]

d)     Es ist einerseits ein domänenunabhängiges Curriculum zu entwickeln, das die Grundstrategien ausweist, die für jedes Verstehen von Dokumenten unerlässlich sind. Diese Grundstrategien können im Deutschunterricht vermittelt werden.

e)     Andererseits sind domänenbezogene Strategien auszuarbeiten, die

-          die Grundstrategien domänenbezogen modifizieren (das bedeutet auch: mitteilen, wie Domänenwissen heranzuziehen ist, wenn Grundstrategien angewandt werden; Bsp.: Bei der Suche nach Schlüsselwörtern: Fachwörter und Sachbereiche des Faches berücksichtigen…)

-          domänentypische Eigenstrategien ausweisen. (Bsp.: Lesen einer geologischen Karte im Fach Erdkunde)